Thomas Giger nennt Missstände beim Namen. «Mindestens 50 Prozent der Schweinezüchter verstossen gegen das Tierschutzgesetz. Sie geben den Schweinen kein oder nur ungenügend Langstroh», sagte der St. Galler Kantonstierarzt Ende September im Beobachter (siehe Artikel zum Thema «Tierschutz: ‹Züchter nehmens nicht so genau›»). Das heisst: Fleisch, das wir essen, stammt von Schweinen, die tierquälerisch gehalten werden. Denn Mutterschweine brauchen Stroh, um natürliche Triebe auszuleben - um etwa den Ferkeln ein Nest zu bauen. Doch darum scheren sich viele Züchter nicht.
Antanzen vor der Schweine-Lobby
Die Schweinezucht-Lobby fühlte sich wegen Gigers Kritik ungerecht behandelt. Und ihre Reaktion kam prompt: Im Nationalrat machte sie bei bauernfreundlichen Abgeordneten Stimmung gegen Giger. Und aus Tierschutzkreisen war bald zu vernehmen, der St. Galler CVP-Regierungsrat Josef Keller sei unter Druck gesetzt worden, den kritischen Kantonstierarzt Thomas Giger ruhig zu stellen.
Fest steht: Giger musste am 7. November im St. Galler Departementsgebäude antraben und seinem Chef sowie einer von FDP-Nationalrat Walter Müller angeführten Delegation Rede und Antwort stehen. Mit dabei: hochrangige Vertreter des Schweinezuchtverbands Suisseporcs.
Mutterschweine bräuchten Stroh, um ihren Jungen ein Nest zu bauen - und keinen Beton.
Regierungsrat Keller bestätigt dieses Treffen. «Es hat eine Aussprache stattgefunden.» Man sei mit Suisseporcs im Gespräch. «Über Details kann ich keine Auskunft geben», sagt Keller. Auch Kantonstierarzt Giger will nicht mehr dazu sagen. Worum es unter anderem ging, sickerte mittlerweile in Tierschutzkreisen durch. «Giger wurde vorgehalten, er habe bei seinen Aussagen alle Schweinezüchter in den gleichen Topf geworfen», heisst es. Zudem hätten die Suisseporcs-Vertreter den Kantonstierarzt gedrängt, seine kritischen Aussagen öffentlich zu widerrufen.
Die Schweineproduzenten fürchten um ihr Image. Sie versuchen offenbar zu verhindern, dass Konsumenten zu viel über die teils unbefriedigenden Bedingungen bei der Schweinefleischproduktion erfahren. Gigers Aussagen seien «rufschädigend» und «entbehren jeder Grundlage», schimpft Suisseporcs-Präsident Peter Hofer im Internet.
Doch Giger steht mit seiner Meinung nicht allein da. Im Kanton Thurgau zum Beispiel gibt rund ein Drittel der Schweinezüchter ungenügend oder kein Langstroh, obwohl das Tierschutzgesetz dies fordert. Dies bestätigt der kantonale Tierschutzbeauftragte Jörg Cadisch. «Wenn man Betriebe nicht mit einrechnet, die Direktzahlungen für den ökologischen Leistungsnachweis erhalten, sind es sogar 50 Prozent.» Kantonstierarzt Giger wiederum schätzt, dass in St. Gallen diese Quote sogar bei «80 bis 90 Prozent» liegt.
Der Entwurf der neuen Tierschutzverordnung würde die Lebensbedingungen für Schweine verbessern. Doch der einflussreiche Schweineproduzentenverband Suisseporcs legt sich quer: Wegen eines drohenden Kostenschubs haben die Züchter den Verordnungsentwurf zurückgewiesen. In einem Suisseporcs-Verbandspapier heisst es: «Das Gesetz fokussiert zu stark auf das Tierwohl und berücksichtigt die Wirtschaftlichkeit zu wenig.»
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